Haus der Stadtgeschichte

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Franziska Blum-Gabelmann schreibt für das Corona-tagebuch

Corona-Begrüßungsrituale


Ein Zusammentreffen in Corona-Zeiten unter Freunden heißt: Man wahrt Distanz und fragt: „Seid ihr gesund?“ Kein Händeschütteln also, keine innige Umarmung, den anderen spüren, riechen, von Wärme umfangen werden, kein Kuss auf den Mund. Auf Nasen-Mund-Schutz wird verzichtet. Man kennt sich schließlich, weiß, wo sich der andere „herumtreibt“ und nach vier Wochen allein zuhause ist die Ansteckungsgefahr gering.

Ein Begrüßungsversuch wird trotzdem gestartet. Aber anders – mit Distanz eben. Die Jungs versuchen sich mit den Schuhen zu berühren, eine Art Kicken ohne Ball. Oder sie tippen sich unter Gekicher gegenseitig mit den Ellenbogen an. Lachen entkrampft. Etwas befremdlich und ungelenk. Hat den Charme von Kleinjungenritualen. Die Mädels lächeln sich zu, das wirkt wesentlich eleganter. Ein Ritual muss aber sein, quasi ein verbindendes Entree in den Abend.

Am nächsten Tag. Ein lang anberaumtes Treffen mit neuen Kollegen. Nasen-Mund-Schutz – kein Händeschütteln. Distanz. Dabei ist das Handschütteln, zumindest in den westlichen Breitengraden, immer noch die zentrale Höflichkeitsgeste im zwischenmenschlichen Kontakt. Sie stellt Nähe zwischen bekannten und unbekannten Individuen her. Ist in der Regel die erste unverfängliche körperliche Kontaktaufnahme mit einem oft fremden oder unbekannten Gegenüber. Wen habe ich da vor mir? Ist der Händedruck schlaff, schwach oder kräftig? Ist die Hand schweißig oder trocken, rau oder schwielig, fettig oder klebrig? Neben der Vergabe von Sympathiewerten nach dem ersten Eindruck ist das Händeschütteln ein nonverbaler Informationsaustausch wie ein unbewusstes Kräftemessen.

Nun in Corona-Zeiten kein körperlicher Kontakt und auch noch eingeschränkte Sicht wegen des Nasen-Mund-Schutzes. Ein ganzes Repertoire an gesellschaftlich eingeübten und akzeptierten Begrüßungsritualen fällt da weg. Das kumpelhafte Schulterklopfen unter Männern etwa, manchmal verbunden mit klassischem Männer-Baby-Talk: „Oh“, „Jo“, „Na dann“, „Alla fort“. Die demonstrativen Luft- oder Wangen-Bussi-Bussis mit vorgestrecktem Oberkörper modevernarrter Mädchen und Frauen, der Bruderkuss auf den Mund zwischen politischen Schwergewichten, der devote Clan-Kuss, die patriarchalische Machtdemonstration vor Publikum. Der ehrerbietende Stirnhandkuss des Jüngeren gegenüber dem Älteren etwa, die Küsschen á la franҫaise einmal rechts einmal links, oder zweimal rechts einmal links und die bewegungsintensiven Szene- und Subkulturbegrüßungsrituale der Rapper, Street-Dancer (…) ebenso wie der flüchtige Begrüßungskuss auf den Mund zwischen eng Vertrauten.

Mir erscheint die köperkontaktlose Begrüßung fremd. Da Gruppenzugehörigkeit durchaus auch an Begrüßungsritualen ablesbar ist, erscheint mir die Corona-Distanz als ein Verlust von gesellschaftlicher Vielfalt. Wie wird es sein, wenn wieder alles normal ist? Haben diese Beschränkungen Auswirkungen auf die Nähe von Beziehungen? Verändert es den Umgang mit körperlicher Nähe? 

Franziska  Blum-Gabelmann 24. Juli 2020

Foto: Corona-Ellenbogen-Gruß. Odo Steinmann, Vorstand Volksbank Rhein-Nahe-Hunsrück und Gisbert Wolnizki (Filialleiter Simmern), der in den Ruhestand verabschiedet wurde. Foto: Volksbank

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