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StadtArchivarin schreibt für Corona-taGebuch
Die Augenpartie rückt in Corona-Zeiten in den Blick
Sicherheitsabstand, Mund-Nase-Maske, Desinfektion, kein körperlicher Kontakt außerhalb der Familie. Der Händedruck ist nicht gewünscht, die Umarmung von Bekannten und guten Freunden verboten. Kontaktaufnahme im öffentlichen Raum mit Unbekannten, Geschäftspartnern und Kollegen erfolgt mit Maske, und die verdeckt bis auf die Augenpartie die Mimik im Gesicht. Der Mund ist versteckt. Die Sprache gedämpft oder verzerrt, je nach Beschaffenheit des Materials aus dem die Maske hergestellt ist. Mit der Maske im Gesicht fällt eine nonverbale Sprache weg, von klein auf erlernt, befähigt das Gesehene zu decodieren, Voraussetzung um das Gesagte des Gegenübers zu bewerten, die Person selbst einzuordnen.
Die Augenpartie rückt in Corona-Zeiten in den Blick. Mancher erträgt diese plötzliche Aufmerksamkeit, die Konzentration auf die Verengung der Kontaktaufnahme nicht; senkt den Blick, schaut weg. „Warum guckst du mich so an, sieh mich an wenn ich mit dir rede, senk die Augen, provozier mich nicht, was willst du?“ Sätze aus der Kindheit klingen da an und gutgemeinte Ratschläge, dass man Menschen nicht direkt in die Augen blickt – dass sei schlechtes Verhalten, gesellschaftlich nicht akzeptiert und provoziere - besonders Männer. Und jetzt? Zwar kein Tabubruch, aber eine verordnete neue Verhaltensregel. Ehemals unschicklich, nun (überlebens-)notwendig.
Macht das was, wenn Begrüßungsrituale und Gesprächsformen neu definiert und eingeübt werden? Es erinnert mich an Diskussionen über verschleierte Frauen, die bis auf die Augen verhüllt sind. Erzwingt dies für sie eine andere Art der Kommunikation? Vielleicht eine Augensprache in der Öffentlichkeit? Eine zwischen Frauen und eine zwischen Frauen und Männern?
Einem Menschen tief in die Augen sehen bedeutet, einen Blick auf seine Seele erhaschen, auf seinen aktuellen Gemütszustand, sein Empfinden für das Gegenüber. An der Augenpartie lassen sich Traurigkeit, Glück, Depression, Freude ablesen, spiegeln sich Ekel, Ablehnung, Wut, Gewaltbereitschaft, Härte, Teilnahmslosigkeit, Lust ebenso wie Verständnis, Zustimmung, Zuneigung und Liebe. Über Augen erfolgt Kontaktaufnahme, wird Distanz und Nähe hergestellt. Bewusst, unbewusst und spielerisch wie beim Flirten, dem koketten Spiel der Augen, das lockt und einlädt und verspricht und doch klar signalisiert, dass das alles nur ein Versprechen ist, eine Illusion. Oder doch nicht?
Der intensive Blick in die Augen des Gegenübers lässt braune, blaue, grüne, graue, seltener bernsteinfarbene Augen erkennen. Augen, die unter dicken Brauen kaum zu entdecken sind, die groß oder klein, mandelförmig oder rund, frisch oder verquollen sind, von glatter Haut oder Falten aller Art umgeben, von Wimpern umkränzt. Augen mit Wärzchen und Altersflecken, feucht oder trocken – manchmal mit Tränensäcken und kleinen Narben - Hinweise auf (gelebtes) Leben oder Krankheit. Augen die, die mit Kajal und Wimperntusche versehen, mit farbigen Pigmenten bestäubt und als Kunstwerk geschaffen Bewunderung erzeugen, den klaren Blick verstellen, täuschen, locken, verschleiern – Schönheit zieht Blicke auf sich - hat viele Gesichter.
Die Vielfältigkeit auf dem neuen Augen-Blick-Kontakt-Terrain, das es zu erlernen und zu ertragen gilt, verweist auf die Unsicherheit dieser Zeit, die sich gerade in den Augen widerspiegelt.
Gez. Franziska Blum-Gabelmann, 16. Juni 2020