Haus der Stadtgeschichte

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Plätzchenrezepte von der Mutter an  die tochter weitergegeben

6. Dezember: Aus ,Kakanien‘ nach Kreuznach


Eva Senner

Meine Mutter, Eva Senner (geb. Mundschenk, *1931, 2024), war eine sogenannte ,Nur-Hausfrau‘. Sie war es gern, und ganz besonders liebte sie es, zu kochen und zu backen. Kein Wunder, daß es in der von ihr hinterlassenen Küchen-Bibliothek jede Menge ,Einlagen‘ gibt! Und zumindest eine davon läßt sich über       Generationen zurückverfolgen.

Da ist zunächst, als jüngste Version, ein Zettel in der Handschrift meiner Großmutter, Elly Mundschenk (geb. Eichholz, *1891, 1957). Das Blatt trägt, von der Hand meiner Mutter, die ergänzende Jahresangabe „1956“. Bei dem Plätzchen-Rezept handelt es sich, wie aus dem Namen der Spezialität ersichtlich, um kein ortstypisches Backwerk. Wobei sich die Frage erhebt, ob es das Kreuznacher Plätzchenrezept überhaupt gibt… Die Überschrift lautet „Schokoladen-Patzerln“, und das Rezept geht so:

¼ [zu ergänzen: Pfund] gehackte Mandeln[,] ¼ Zucker, 3 Ei Schnee, 100 gr. geriebene Schokolade, eine Handvoll Semmehl [soll heißen: Semmelmehl]. Das wird gemischt u[nd] kl[eine] Plätzchen mit [einem] Löffel aufs geschmierte Blech gesetzt u[nd] schnell gebacken u[nd] mit Zucker bestreut.

Elly Mundschenk

Dasselbe Rezept findet sich bereits in einem Notizheft meiner Großmutter aus den 1920er Jahren. Elly hatte vor dem Ersten Weltkrieg das Fröbel-Seminar in Kassel besucht, um den Beruf der Kindergärtnerin zu erlernen. Den hat sie dann ab 1912 in Kreuznach ausgeübt. Von 1915 bis 1922 – dem Jahr ihrer Heirat – führte sie in ihrem Elternhaus, Schloßstraße 1, einen „Privat-Kindergarten“. In dem bewußten Notizheft hat sie von Jahr zu Jahr die Anmeldungen notiert. Später dann nutzte sie die freien Seiten zur Anlage einer Rezepte-Sammlung (nur deshalb blieb das Heft wohl erhalten). Die zweite Version des Plätzchen-Rezepts ist überschrieben „Schokoladepatzeln von Urgroßmutter“:

¼ gehackte Mandeln, ¼ Zucker, von 3 Eiern den Schnee schlagen, 1 Tafel Schokolade u[nd] eine Handvoll Semmelbrösel. Dieses wird zusammengemischt u[nd] kl[eine] Plätzchen daraus gemacht. Das Blech geschmiert mit Wachs. Dann die Patzeln schnell gebacken u[nd] mit Zucker bestreut.

Wiederum als fliegendes Blatt bzw. ,Einlage‘ kommt die dritte und älteste Version des Rezepts daher. Es ist ein Kurzbrief meiner Urgroßmutter Helene Eichholz (geb. Ludwig, *1864, 1947) an ihre Tochter Elly:

Kr[euznach] 15.12.[19]25

Mein Liebes! in aller Eile nur schnell die Recepte. Die Zimmtsterne findest Du in dem Davidis Kochbuch[,] das ich Dir geschenkt habe, wo vorn so allerlei andere Recepte stehen. Also:

Sehr gute Schokoladen Patzel noch von meiner Großmutter.

Nimm ¼ [hier folgt das altdeutsche Pfund-Symbol] gehackte Mandeln[,] ¼ [Pfund] Zucker, von 3 Eiern das [zu ergänzen: Weiße.] Das Eiklare zu Schnee schlagen[.] 1 Tafel Schokolade und eine Handvoll Semmelbrösel[.] Dieses wird zusammengemischt und kleine Plätzchen draus gemacht. Das Blech geschmiert mit Wachs[,] dann die Patzeln schnell gebacken und mit Zucker bestreut.

Auf der Rückseite des Briefes hat Helene noch eine Variante („anders“) des Rezepts mitgeteilt:

¼ [hier folgt das altdeutsche Pfund-Symbol] gesiebter Zucker und 2 Taferln feine Schokolade und von einem Ei das Weiße[.] Dieses alles zusammen aufs Brett gegeben[,] gut untereinander gearbeitet[,] dann ausgewelgert [ausgerollt] [und] kleine Bretzeln ausgestochen[;] am Blech kühl backen.

Die Rezept-Rückseite (Foto oben)

Wie man sich ein „Taferl“ vorzustellen habe, sollte eine Zeichnung verdeutlichen: als ein Rechteck von „ungefähr“ 8,5 x 3,2 Zentimetern; es dürfe aber auch ein „bissl“ mehr sein. In Ellys Notizheft wurde das Rezept aufgenommen, aber ohne die Skizze oder eine Umrechnung der ,Taferln‘ in Gramm; in der Aufzeichnung von 1956 fehlt es. – Heutige Schokoladentafeln sind, jedenfalls bei ,feinen‘ Marken, dünner als früher üblich. Auch halten sie häufig nicht mehr 100, sondern nur mehr 80 Gramm. Mit diesem Format könnte man hinkommen, wenn ein ,Taferl‘ mit 40 Gramm angenommen wird. Versuch macht klug!

Helene Eichholz

Helenes Geburtsort war das niederösterreichische Retz. Tochter eines Rechtsanwalts, heiratete sie 1886 den aus Ostpreußen stammenden, aber im thüringischen Jena praktizierenden Frauenarzt Dr. Franz Eichholz, der seine Praxis 1889 in das aufstrebende Heilbad Kreuznach verlegte.

Der eigenartige Name des Gebäcks erklärt sich also aus seiner Herkunft. Backwerk und Bäckerin kamen aus dem alten, dem kaiserlich-königlichen Österreich (scherzhaft auch als ,Kakanien‘ bezeichnet). Der Duden von 1957, der ausdrücklich bemüht war, „den sprachlichen Eigenheiten Österreichs und der Schweiz gerecht zu werden“, er bietet für „patzen“ neben der geläufigen Bedeutung „schlecht arbeiten“ auch die: „zusammenballen“, was immerhin zum Herstellungsprozeß des Gebäcks passen könnte. ,Patze(r)l‘ sind also von Hand geformte Häufchen.

Emilie Ludwig
Antonia Ziegelheim

Wer aber ist nun die Groß- bzw. Urgroßmutter, von der das Rezept letztlich herrührt? Unter der Voraussetzung, daß Rezepte von der Mutter auf die Tochter weitergegeben werden, die Ahnfrauen der Vaterseite also außen vor bleiben können, ergibt sich folgendes Bild: Die Mutter von Helene Ludwig, Emilie (geb. Ziegelheim, *1833, 1882), hat keine eigene Aufzeichnung unseres Rezepts hinterlassen. Man kann aber getrost annehmen, daß auch sie ein Glied in der Kette der Überlieferung war. Emilies Mutter wiederum – die gesuchte Großmutter von Helene bzw. Urgroßmutter von Elly – war Antonia Ziegelheim (geb. Lamla, *1803, 1876). Über sie ist nur wenig bekannt. Sie war eine Tochter von Anton Lamla, „städtischer Sekretär“ in Jägerndorf, Mährisch-Schlesien. 1826 heiratete sie in Teschen den kaiserlich-königlichen ,Bezirksingenieur‘ Wenzel Ziegelheim, der aus Jungbunzlau stammte und noch im 18. Jahrhundert geboren war. Als dessen weitere Dienst- bzw. Wohnorte sind Skotschau und Sternberg überliefert. Nach dem Tod ihres Mannes, er lebte bis 1867, ist Antonia nach Wien gezogen oder jedenfalls dort verstorben.

Aus der Weihnachtsbäckerei meiner Mutter erinnere ich mich an Schokoladen-Makronen, die nicht auf dem gefetteten (oder gar gewachsten) Blech, sondern auf kleinen Oblaten ausgebacken wurden. Auch waren sie nicht mit Zucker bestreut. Ob ungeachtet dieser Abweichungen das aus ,Kakanien‘ ererbte Rezept zugrunde lag, weiß ich nicht. Um so gespannter bin ich nun, ob die Kostprobe hält, was die Aufzeichnungen versprechen.

Martin Senner

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 Gemeint ist: Neues und bewährtes Illustriertes Kochbuch für alle Stände. Zuverlässige Anleitung zur Bereitung der verschiedenartigsten Speisen, Backwerke, Getränke &c. Nach eigener, vieljähriger Erfahrung herausgegeben von H[enriette] Davithis. Reutlingen (1916) S. 138:

Zimtstern. 7 Eiweiß werden zu einem Schnee geschlagen, dann rührt man ihn recht schaumig mit 500 Gr. Zucker, sodann kommen 500 Gr. feingewiegte Mandeln, 15 Gr. Zimt, 4 Gr. Nelken dazu, wellt [rollt] es mit Zucker aus und bestreicht ein Blech mit Speck, sticht Sterne aus und backt sie schön im Ofen.

Das in der Familie überlieferte Rezept weicht davon allerdings in mehreren Punkten ab. Auf dem bereits genannten Zettel von 1956 sind die Mengen halbiert, für den Zimt radikal reduziert; auf die Nelken wurde ganz verzichtet. Bestimmte Eigentümlichkeiten der Rechtschreibung (,Zimmt‘ / ,Citronenschale‘) lassen eine ältere Vorlage – noch von Helene? – vermuten, die aber nicht erhalten ist.

Zimmtsterne.

250 g Zucker, 250 gr. Mandeln, 3 Eiweiß[,] abg[eriebene] Schale einer Zitrone[,] 4 gr. Zimmt. Eiweiß zu Schnee schlagen, mit Zucker u[nd] Citronenschale stark gerührt, dann d[en] Zimmt dazu u[nd] ein Teil der Mischung hingestellt. Darauf rührt man die Mandeln, die mit einem Tuche abgerieben sind (also nicht abgezogen)[, die] aber durch die Mandelmaschine getrieben sind, hinein. Man wellt [rollt] den Teig auf dem Brett dünn aus[,] sticht mit Ausstecher aus[,] bestreicht den Stern mit der hingestellten Mischung, u[nd] bäckt sie langsam gelb.

Eine weitere, undatierte Aufzeichnung, ebenfalls von Elly Mundschenk, hat noch (oder wieder) die ursprünglichen Mengen, aber nicht beim Eiweiß und erst recht nicht beim Zimt. In einigen Angaben ist dieses Rezept präziser.

Zimtsterne

6 Eiweiße zu steifem Schnee schlagen, 1 [hier folgt das altdeutsche Pfund-Symbol] Zucker und abgeriebene Schale einer Zitrone dazu, ¼ St[un]d[e] tüchtig rühren, dann 4 g gemahlenen Zimt dazu (6 Eßlöffel für den Guß wegsetzen) und 1 [Pfund] gesäuberte, mit der Schale geriebene Mandeln. Kalt stellen etwa ½ – 1 Stunde. Mit Mehl nicht zu dünn auswellen [ausrollen] und Sterne ausstechen. Mit [dem] Guß bestreichen und langsam backen.

Die Version in Ellys Notizheft entspricht der von 1956. Die im Notizheft gegebenen Hinweise, wie man vier Gramm Zimt abwiegt – indem man wahlweise ein 10-Pfennig-Stück oder ein goldenes Zehnmarkstück als Gegengewicht verwendet –, sind heutzutage leider wenig hilfreich, weil die betreffenden Münzen seit über 100 Jahren aus dem Umlauf verschwunden sind.





Foto oben: Bald 100 Jahre alt: das Rezept von Elly Mundschenk, der Großmutter von Dr. Martin Senner.


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