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Hersteller von Industriefilteranlagen darf Produktionshalle errichten
Der Abstandsflächenverstoß wird ausnahmsweise zugelassen
Die Stadtverwaltung Bad Kreuznach erteilte dem Unternehmen zunächst eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Produktionshalle. Diese Baugenehmigung hat das Verwaltungsgericht aufgehoben (VG Koblenz, Urteil vom 23.03.2022, Az. 4 K 1009/21.KO). Das Gericht hat sich dabei mit der Frage befasst, ob die Produktionshalle nach den allgemeinen Abstandsflächen zulässig ist.
Die gesetzlich normierte Möglichkeit einer Abweichung von diesen allgemeinen Abstandsflächen war nicht Gegenstand des Verfahrens, weder des Verwaltungsverfahrens, noch des sich anschließenden gerichtlichen Verfahrens (vgl. das Urteil, S. 6, vorletzter Absatz).
Mit dem bisherigen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Koblenz war daher nicht der Ausspruch verbunden, dass die Produktionshalle gänzlich baurechtlich rechtswidrig ist. Auch das Gericht hat in seinem Urteil mögliche Folgeverfahren gesehen. Es hat aus diesem Grund festgehalten, dass von der Produktionshalle keine erdrückende Wirkung gegenüber dem Grundstück der damaligen Kläger und derzeitigen Widerspruchsführer ausgeht.
Die Abstandsflächen sind in § 8 Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (LBauO), die Abweichung von diesen Abstandsflächen ist in § 69 LBauO geregelt. Diese Vorschriften stehen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis.
Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts beantragte das Unternehmen nun die Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächen. Das Bauamt hat in diesem aktuellen Abweichungsverfahren nach § 69 LBauO die Abweichung genehmigt. Nach § 69 LBauO kann unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen eine Abweichung von den Abstandsflächen zugelassen werden. Anders als bei der schematischen Betrachtung nach § 8 LBauO, ermöglicht die Abweichungsregel nach § 69 LBauO die Betrachtung des konkreten Einzelfalles. Im Rahmen des Einzelfalles ist eine Abwägungsentscheidung zu treffen.
In die Abwägung im konkreten Abweichungsverfahren ist dabei im Wesentlichen eingeflossen, dass das Gericht die nähere Umgebung als Gemengelage eingestuft hat. Das bedeutet, dass in dem betroffenen Gebiet sowohl gewerbliche und industrielle Nutzung, als auch Wohnnutzung zulässig sind. Rechtlich wird hier davon gesprochen, dass beide Nutzungen aufeinander Rücksicht nehmen müssen. Damit ist beispielsweise gemeint, dass Menschen, die in dieser Gemengelage leben, die gewerbliche Nutzung dulden müssen. Umgekehrt muss das Gewerbe bis zu einem gewissen Maß die Wohnnutzung berücksichtigen.
Hinzu kommt, dass die Grundstücksgrenze „schräg“ verläuft. Die Produktionshalle musste hingegen wegen der Produktionsstraße im Inneren im rechten Winkel geplant werden. Die Produktionshalle überschreitet die Abstandsfläche aus diesem Grund nicht auf der gesamten Länge der Grundstücksgrenze, sondern lediglich auf einem Teilstück. Die betroffene Fläche, die hingegen für die Widerspruchsführer streitet, beträgt ca. 1m² auf einem schmalen Streifen (ca. 40 cm an der breitesten Stelle). Im Abweichungsverfahren ergab ein Gutachten, dass eine Beeinträchtigung der Besonnung und Belüftung des Wohngebäudes nicht vorliegt. Hierzu hat das Verwaltungsgericht bereits explizit ausgeführt, dass die Halle nicht rücksichtslos gegenüber dem Wohngebäude ist.
Mit der neuerlichen Baugenehmigung ist das Verfahren noch nicht endgültig abgeschlossen. Die Stadtverwaltung Bad Kreuznach hat Verständnis für die Beteiligten, und versteht insbesondere die Situation der Widerspruchsführer. Die Stadtverwaltung ist allgemein bemüht, ihre Entscheidungen am Wohl des Bürgers und der Unternehmen auszurichten. Gleichzeitig muss sie in Situationen, in denen mehrere Beteiligte ihre berechtigten Interessen verfolgen, oftmals widerstreitende Interessen in Ausgleich bringen.
Die Stadtverwaltung ist aus diesem Grund auch weiterhin bestrebt, gemeinsam mit den Beteiligten eine einvernehmliche Lösung zu finden.
Zur Einordnung des rechtlichen Hintergrundes:
Das bauaufsichtliche Verwaltungsverfahren kann mehrstufig sein. Man unterscheidet im Groben das Grundverfahren, das Vollstreckungsverfahren und das Kostenverfahren. Nicht alle Verfahren müssen immer durchlaufen werden. Kommt ein Bürger beispielsweise einem Bescheid nach, muss dieser nicht mehr vollstreckt werden. In allen beschriebenen Verfahrensstufen können wiederum mehrere Verfahren parallel oder nacheinander betrieben werden. Daher ist mit der Beendigung eines Verwaltungsverfahrens nicht notwendigerweise die Angelegenheit insgesamt abgeschlossen.
So liegt das auch bei diesem Bauprojekt. Das erste Grundverfahren, bei dem es um die Entscheidung ging, ob im „Regelverfahren“ eine Genehmigung zu erteilen ist, ist zwar durch die Entscheidung der Verwaltungsgerichts Koblenz beendet worden. Diese Entscheidung steht aber einem Grundverfahren in einem „Ausnahmeverfahren“ nicht entgegen. Auf dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis hat das Gericht auch hingewiesen, wenn es mitteilt, dass die Entscheidung sich nicht auf eine mögliche Abweichungsentscheidung erstreckt.
Symbolfoto: Justicia