Fürs Studium und die Ausbildung lernen – Vier junge Syrer sind angekommen

Fürs Studium und die Ausbildung lernen – Vier junge Syrer sind angekommen

Bei der Frage nach der Freizeitbeschäftigung schauen sich die vier jungen Syrer lächelnd an. Der Älteste Munir  (32) erzählt, dass seine Frau häufig sagt: „Du bist mit der Uni verheiratet“. Auch Haytham und Hesham investieren den allergrößten Teil ihrer Zeit in das Studium. Der vierte im Bunde, Mazen, fährt jeden Morgen mit dem Zug von Bad Kreuznach nach Bingen, wo er bei städtischen Volkshochschule eine Lehre als Kaufmann für Büromanagement begonnen hat.

Sie alle verbindet, dass sie im Jahr 2015 vor dem Krieg in ihrer Heimat flüchten mussten und dies auf eine sehr gefährliche Weise vom Libanon in  die Türkei, Das Schlauchboot, in dem Hesham saß, lief auf der Überfahrt nach Griechenland voll Wasser. Die Insassen wurden von der griechischen Küstenwache gerettet. Nach vielen Umwegen gelangten alle nach Deutschland. Munir flüchtete mit seiner Frau und seiner damals 20 Tage alten Tochter, mittlerweile ist die Familie um eine weitere Tochter gewachsen. Für die älteste, vier Jahre alt, sucht er einen Kindergartenplatz, möglichst in der Innenstadt, wo die Familie wohnt und die Kita gut zu Fuß oder mit dem Bus erreichen kann.

Zurücklassen mussten sie Eltern, Geschwister und weitere Verwandte. „Ich habe meine Eltern seit 2012 nicht mehr gesehen“, sagt Mazen. Der 23-Jährige, der in Syrien als Elektriker arbeitete, lebte vor seiner Flucht drei Jahre lang in Jordanien. Erst als seine Eltern in einem Telefonat ihren Segen gaben, entschloss er sich, nach Deutschland zu gehen.  Gemeinsam mit Hesham teilt er sich eine Wohnung in Bad Kreuznach. Haytham, mit 22 Jahren der jüngste, wohnt in einer guten funktionierenden Gemeinschaft mit einem deutschen Ehepaar. Er stammt aus einer kleinen Stadt in der Region um Damaskus, dort wo viele Assad-Gegner lebten. Er zeigt auf seinem Handy Fotos von seiner total zerstörten Heimat, Fotos, die sehr stark an die Aufnahmen von deutschen Städten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erinnern. Das Rote Kreuz holte ihn mit anderen Jugendlichen aus der belagerten Stadt raus. Sie durften in Damaskus ihr Abitur machen. Anschließend studierte Haytham zwei Semester Mathematik.

Von der Herzlichkeit der Helfer erzählen sie immer wieder gerne. Da war zunächst die Dorfgemeinschaft in Rümmelsheim. Sie waren mit anderen Flüchtlingen im Sportheim untergebracht. Dort hatten sie auch ihren ersten Deutschunterricht, ehrenamtlich. „Hosche ach gut geschlof“, den Dialekt beherrschen sie immer noch und können sich darüber sehr freuen. Eine harte Nuss musste sie beim „Deutsch Entdecker-Kurs“ an der Technischen Hochschule in Bingen knacken. Sie ernten schnell auf sehr hohem Sprachniveau. Mittlerweile können sie den Vorlesungen und dem Unterricht gut folgen. Haytham studiert Informatik, Hesham Maschinenbau und Munir Wirtschaftsingenieurwesen. Seinen Master in Erdöltechnik hat Munir in Syrien gemacht, doch hier musste er nochmal von vorne beginnen. „Hätte ich den Master verschwiegen, hätte ich Anspruch auf Bafög gehabt“, so muss er ohne Förderung klarkommen. Munir sucht noch eine Firma, wo er seine  Masterarbeit machen kann.

Alle vier fühlen sich in der Region wohl, haben Freunde und sind selbst sehr hilfsbereit, wie Vanessa Berg bestätigt. Sie ist bei der Stadt für integrative Jugendarbeit zuständig und kennt die Männer nicht nur von den Besuchen in der Mühle. „Sie leisten Dolmetscherdienste und haben bei einem Umzug einer Flüchtlingsfamilie aus Eritrea mit angepackt.“ Eine weitere Mitarbeiterin der Stadt ist für die Syrer eine wichtige Ansprechpartnerin. „Wie  eine Mutter“,  lobt Haytham Ibtessam Baidoun. Seine Landsfrau ist die Quartiersmanagerin im Pariser Viertel und sehr in der Integrationsarbeit engagiert und koordiniert auch Teile der ehrenamtlichen Unterstützung.

Sie spüren aber auch das Klima der Fremdenfeindlichkeit.  Hesham geht am liebsten diesen Konflikten aus dem Weg. „Ich lese auch keine Zeitungen.“  Mazen, der sich selbst als sehr kommunikationsfreudig bezeichnet und in der VHS gerne auch den Telefondienst übernimmt, bekommt bei Begegnungen immer wieder zu hören. „Gegen solche Menschen wie Dich haben wir nichts.“  Problemlos auch seine Aufnahme in der Badmintonabteilung des  TuS Bingen-Büdesheim.

Auf die Frage, wie sie mit dem Vorurteil umgehen, dass in „ihrem Kulturkreis“ Menschen grundsätzlich Konflikte mit Gewalt lösen, verweist Haytham auf ein altes arabisches Sprichwort und zeigt dabei auf seine Hand. „Unsere Finger sind nicht alle gleich“, will heißen auch bei uns gibt es wie überall auf der Welt Menschen, die freundlich und vernünftig sind, und Menschen, die mit Aggression und Gewalt handeln.

Nach ihren Abschlüssen wollen drei der vier in Deutschland leben und arbeiten, Munir will in ein arabisches Land. Die Hoffnung, dass die Verhältnisse in Syrien wieder besser werden, wollen alle nicht ganz aufgeben, sollten sie es, dann ist für alle klar: Wir gehen wieder nach Hause.

Hansjörg Rehbein 


Foto: Hesham (vorne links) und Mazen gönnen sich eine kleine Kickerpartie mit Haytham (hinten rechts) und Munir. Vanessa Berg schätzt die Hilfsbereitschaft der vier jungen Syrer.

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