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Schüler der IGS Sophie Sondhelm hielten ein großartiges Plädoyer für die Demokratie
Die Oberbürgermeisterin warnte davor, den Verlockungen der AfD auf den Leim zu gehen. „Wer meint, die AfD sei wählbar, weil sie die Flüchtlingspolitik der Regierung kritisiert, muss den Auftritt Björn Höckes in Dresden sehen. Danach kann keiner mehr sagen, er habe nicht gewusst, was Höcke mit der AfD vorhat“
Hier die komplette Rede der Oberbürgermeisterin:
"Wir gedenken der Opfer des Nationalsozialismus, wir erinnern an die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945. Dieser Ort ist Ausdruck für millionenfachen Mord an Menschen vieler Nationen, für Völkermord an Juden, an Sinti und Roma. Er steht für die Vernichtung von Zivilisation und Menschlichkeit, für Verfolgung und Ermordung der zu Feinden der NS-Diktatur erklärten Menschen und Gruppen.
Wir sind heute hier einmal mehr zusammen gekommen, um in aller Öffentlichkeit zu erinnern an das, was um unserer Gegenwart und Zukunft willen nicht vergessen werden darf.
Innehalten, nachdenken, sich erinnern und Konsequenzen bedenken sind heute hier Teil gemeinsamen Nachdenkens und das überall in Deutschland, in den Gemeinden, Schulen, Verbänden und Vereinen, in kirchlichen, politischen und gewerkschaftlichen Bildungseinrichtungen.
Es gibt auch Unbehagen und Kritik am Umgang mit diesem Gedenktag. Erinnern an die Verbrechen der NS-Diktatur sei eine ständige Aufgabe, lasse sich nicht auf einen Tag reduzieren. Außerdem bestehe die Gefahr, dass diese Art des Gedenkens in ritualisierten Formen erstarre.
Und damit es nicht zu einem Ritual erstarrt, werden uns auch in diesem Jahr Schülerinnen und Schüler zeigen, dass dieses Gedenken lebendig gestaltet werden kann, und das nicht nur an diesem Tag. Ihr zeigt einen verantwortlichen Umgang mit unserer Geschichte und dafür möchte ich Euch herzlich danken.
Vor einigen Jahren sprach ein Überlebender des Konzentrationslagers Sachsenhausen, ein von der Zeit tiefster menschlicher Erniedrigung gezeichneter Mensch, zwei ihn bewegende Gedanken aus:
Das Leben verstehen kann man nur rückwärts, aber leben müssen wir immer vorwärts.
Er fügte hinzu:
Nie hätte ich damals zu hoffen gewagt, je wieder einen Rechtsstaat, Freiheit und Demokratie, Rückkehr zu Menschenrechten und Toleranz in diesem Land erleben zu können.
Und wir, die wir aus eigener Erfahrung nur den Frieden, den Rechtsstaat, die Freiheit und Demokratie in unserem Land kennen, sind wir uns im Klaren darüber, was wir in diesem Jahrhundert nach Diktatur und zwei Weltkriegen, nach Teilung unseres Landes und Teilung Europas zurückgewonnen haben?
Wissen wir, welch hohes Gut wir zu schützen und zu verteidigen haben?
Die alten Gefahren, Gewalt und Brutalität, neuer Nationalismus, Feindschaft und Krieg zwischen ethnischen Gruppen und Staaten, sind nicht aufgehoben.
Vor wenigen Tagen hat ein AfD-Funktionär (Björn Höcke) bei der Jungen Alternative in Dresden eine Rede gehalten.
Diese Rede können Sie im Internet nachlesen und nachsehen. Tun Sie es, insbesondere dann, wenn Sie die AfD für wählbar halten. Wenn Sie mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung nicht einverstanden sind, ist das demokratisch legitim. Aber wer meint, die AfD sei wählbar, weil sie die Flüchtlingspolitik der Regierung kritisiert, muss den Auftritt Björn Höckes in Dresden sehen. Danach kann keiner mehr sagen, er habe nicht gewusst, was Höcke mit der AfD vorhat. Sagen Sie nicht, man hätte es nicht wissen können. Denn Sie hätten.
Denn Höcke hat längst aufgehört, von Flüchtlingsproblematiken zu sprechen - er redet jetzt von einem Deutschland, das nicht aus der Geschichte lernen darf:
Zitatanfang: "Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad. Und anstatt die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten, weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, von denen wir ja so viele haben [...] vielleicht mehr als jedes andere Volk auf dieser Welt, [...] wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht. So kann es und so darf es nicht weitergehen." Zitatende
Und die jungen Menschen im Saal waren außer sich vor Begeisterung.
Und bei uns in Bad Kreuznach?
Vorgestern wurden aufgrund von Beschlüssen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs insgesamt 12 Wohnungen und weitere Räumlichkeiten durchsucht, weil ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer rechtsextremistischen Vereinigung geführt wird. Eine davon befindet sich in Bad Kreuznach.
„Wissen wir, welch hohes Gut wir zu schützen und zu verteidigen haben?“
Von der Suche nach Wahrheit geht jedoch auch Kraft und Befreiendes aus. Erinnern schafft die Voraussetzungen zur Vermeidung neuen Unrechts, schärft die Wahrnehmung für schleichende und offenkundige Verletzungen der Menschenwürde, Verunglimpfungen, Herabsetzungen und Ausgrenzungen. Es macht wachsamer gegenüber neuen nationalistischen Überheblichkeiten.
Die Bereitschaft, uns zu erinnern und aufzuarbeiten, war und ist heilsam, brachte die Chance, Vertrauen zum demokratischen Deutschland zurückzugewinnen.
Ohne Annäherung, ohne Bereitschaft zu Dialog und Verständigung konnte und kann es auch kein Miteinander in einem geeinten Europa geben.
Vergangenheitsbearbeitung und Zukunftsgestaltung sind gerade mit Euch Jugendlichen zu leisten. Mit Euch können wir erörtern, was uns die Vergangenheit angeht und wie wir auf sie antworten.
Es geht um Wissen und Wachsamkeit, um Mitempfinden und Engagement, um Urteilskraft und Zivilcourage.“
Hier Auszüge aus dem Rollenspiel der IGS-Schüler:
Eine Gruppe von Jugendlichen steht auf dem Schulhof und unterhält sich über die Teilnahme an der Gedenkfeier.
Max: Endlich Freitag! Lass ma Megges nach der Schule!
Leon: Jaaaaa! Keine Zeit, man. Muss zur Gedenkveranstaltung!
Max: Hä, was für Gedenkveranstaltung?
Leon: Du hast mal wieder von nix einen Plan. Heute ist der 27. Januar: Internationaler Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.
Anna: Könnt ihr das nicht einfach absagen? Müsst ihr da unbedingt hin? Ist doch eigentlich voll unnötig. Erstens ist das alles schon sehr lange her und zweitens können wir ja nichts für den Mist, den unsere Vorfahren gebaut haben. Wahrscheinlich sind da nur ältere Leute.
Nele: Aber Gedenken ist wichtig, weil wir nicht aufhören dürfen, uns daran zu erinnern, welche Verbrechen passiert sind. Wir haben eine Verantwortung dafür, dass unser Land nicht nochmal in die Hände eines Diktators gerät.
Judith: Warst du schon mal in einer KZ-Gedenkstätte?! Ich sag‘ dir, wir waren in Buchenwald: Das war so bedrückend und so etwas Schlimmes möchte ich nicht erleben. Ich finde es absolut wichtig, dass diese Gedenkstätten Programme und Führungen für Schüler anbieten.
Anna: Ok. Ich verstehe euch schon und habe auch nichts dagegen, dass ihr euch Gedanken über früher macht. Aber ich finde wir haben heute das Jahr 2017 und ganz andere Probleme.
Nele: Zum Beispiel?
Anna: Ähm! Na ja, Trump, Terror, IS, Rente ….. oder wie heißt das?, demographischer Wandel, fake news, Geflüchtete, Asylanten …..
Nele: Also Leute, das ist doch ganz klar! Irgendwie hat Anna ja Recht. Gerade weil uns heute so viele Probleme in Deutschland, in Europa und in der ganzen Welt beschäftigen, müssen wir aufpassen und können aus der Geschichte lernen. Die Menschen sind verunsichert und haben Angst um ihre Ordnung, um ihre Demokratie und ihre Freiheit.
Max: Eigentlich ist das ja echt so. Und genau von dieser Stimmung profitieren die Populisten, die für jedes Problem eine Antwort und eine einfache Lösung haben. Und wenn man genau nachfragt funktionieren die Lösungen nur, wenn wir gleichzeitig noch unsere Menschenrechte, die Pressefreiheit und am besten die ganze Demokratie abschaffen. Und davor hat auch Barack Obama in seiner Abschiedsrede gewarnt.
Nele: Richtig! Er hat gesagt, die DEMOKRATIE sei in Gefahr. Die Demokratie sei immer dann bedroht, wenn wir sie als selbstverständlich betrachten. Aber er hat auch gesagt: „Die Zukunft ist in guten Händen“. Und ich glaube, damit hat er nicht unbedingt seinen Nachfolger gemeint. Für mich heißt das ganz klar, dass er dem Volk vertraut, dass er an die Vernunft der Bürgerinnen und Bürger glaubt, dass er auf die DEMOKRATIE hofft und Vertrauen in die Demokratie hat. Demokratie heißt Herrschaft des Volkes. Für uns ist das Leben in einer Demokratie selbstverständlich. Was bedeutet sie für euch?
Anna: Ich habe das Recht meine Meinung zu sagen und es gibt Pressefreiheit.
Judith: Ich bin ein mündiger Bürger.
Max: Ich darf hinterfragen und Kritik üben.
Joelle: Ich kann etwas bewirken, habe Einfluss und kann Dinge verändern.
Leon: Demokratie heißt für mich Menschenrechte, Freiheitsrechte und Gleichheitsrechte.
Max: Demokratie steht für Respekt und Toleranz. Minderheiten werden geschützt. Und es sollte faire Chancen für alle geben.
Judith: Demokratie heißt für mich auch, dass es das Grundgesetz gibt, das unsere Freiheit und Werte schützt.
Nele: Im Geschichtsunterricht sind wir der Frage nachgegangen „BRAUCHT DIE DEMOKRATIE HELDEN?“ …… Und unsere Antwort war ein klares „JA!“ Für mich ist Barack Obama mit seinen Äußerungen zur Demokratie ein Vorbild.
Chiara: Für mich sind die Menschen ein Vorbild, die sich in der Bürgerrechtsbewegung der DDR engagierten.
Leon: Es gibt überall auf der Welt Menschen, die sich für wichtige Prinzipen wie Meinungsfreiheit einsetzen. Denn dies ist längst nicht selbstverständlich. Für mich ist es eine Heldentat, eine eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen, politische Entscheidungen zu kritisieren, gegen Ungerechtigkeiten zu demonstrieren oder alleine schon die Aufklärung darüber, was in der Welt gerade so vor sich geht, damit sich Menschen überhaupt erst politisch einsetzen können. Das mag vielleicht in den meisten Ländern heute normal und selbstverständlich sein. Jeder einzelne, der sich um die demokratischen Prinzipien bemüht, selbst wenn er nur wählen geht, sorgt dafür, dass wir weiterhin in einer Demokratie leben können. Deshalb sind für mich alle, die sich in irgendeiner Weise an der Demokratie beteiligen, Helden der Demokratie. ….. nur, dass es halt selten jemand mitbekommt.
Anna: Wir sind heute zur Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus gekommen, weil der Nationalsozialismus und das begangene Unrecht ein Teil unserer Geschichte sind. Ereignisse von früher sind nicht einfach weg, weil sie vergangen sind. Sie bestimmen unser historisches Bewusstsein, die Art, wie wir denken und wie wir handeln. Und richtig verantwortlich handeln können wir nur, wenn wir informiert sind. Wir wollten deutlich machen, dass jeder einzelne Mensch die Demokratie am Leben halten kann, wenn er eine Haltung zeigt und sich informiert.
Fotos: Gemeinsam mit Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer gestalteten Schülerinnen und Schüler der IGS Sophie Sondhelm das Gedenken an die Opfer des Holocausts: Anna Richter, Judith Jodeleit, Nele Herrmann, Joelle Metz, Max Wohlleben, Leon Sachse, Chiara Kühn und Jan Schückler. Für das Unterrichtsprojekt "Braucht Demokratie Vorbilder?" im Leistungskurs Geschichte ist die Lehrerin Sandra Glanzmann verantwortlich. Für die musikalische Umrahmung der Gedenkveranstaltung sorgte Petra Grumbach (Saxophon).
Fotos: Bamshad Amani