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Fundquelle Stadtarchiv: Hobbyforscher Kay Maleton lässt alte Häuser in Bosenheim „erzählen“
Im Stadtarchiv gibt es von Hand gezeichnete Flurpläne im sogenannten Supplementband, die bis in die Zeit napoleonischer Herrschaft (1796-1815) zurückgehen. Leider liegt für das bebaute Dorfgebiet nur noch die Erweiterungskarte vor, die zum Einsatz kam, wenn dir Vorgängerkarte keinen Platz mehr für die Veränderungen bot“, so Maleton.
Das Bosenheimer Archiv wurde nach der Eingemeindung 1969 an die Stadt abgegeben und 2004 ins Stadtarchiv übernommen, danach gesichtet und über ein Findbuch als Kulturgut für Forschungszwecke zugänglich gemacht. Einige Akten wurden bereits restauriert, weitere werden folgen. Stadtarchivarin Franziska Blum-Gabelmann würde sich freuen, wenn aus Bosenheim weitere historische Unterlagen wie Fotos, Plakat, Materialien zu aufgelösten Vereinen etc. an das Stadtarchiv übergeben werden (Kontakt Telefon 0671/9201162 oder E-Mail stadtarchiv@bad-kreuznach.de)
Bosenheim gehörte vor über 200 Jahren zum Großherzogtum Hessen (1816-1918) und bildete dessen Außengrenze zum Königreich Preußen. Regierungssitz war Darmstadt, im dortigen Archiv fand Maleton unter anderen das letzte Brandkataster (1930 - 1974) von Bosenheim.
Durch die im Kreuznacher Stadtarchiv befindlichen Brandkataster von 1817, 1850, 1890, sowie das Grundsteuerregister von 1804 war es ihm nunmehr möglich, die Gebäude, teilweise deren Erbauung und Veränderung im Laufe der Zeit nachzuverfolgen. Darüber hinaus fand er in den Archiven von Darmstadt, Speyer und Koblenz noch weitere Unterlagen über Bosenheimer Häuser.
Der Finanzbeamte übersetzte die Texte aus der alten Kanzleischrift "Kurrent" ins Neudeutsche. Trotz aller erworbenen Kenntnisse warfen unterschiedliche Schreibweisen bzw. Schriftbilder oftmals noch Deutungsfragen auf. In diesen Fällen war er froh über die Hilfe von so fachkundigen Stammbesuchern des Stadtarchivs wie Dr. Martin Senner und Udo Ebbinghaus.
Im Rahmen der Übersetzung fand er dabei auch in Gerichtsakten, alten Schriften und Dokumenten Erstaunliches, Tragödien und Anekdoten. Fasziniert stellte er im Laufes seiner Recherche auch fest, dass viele Häuser mit Geschichte noch an ihrem angestammten Platz stehen.
So haben sie als stille Zeitzeugen auch die Übernahme Bosenheims durch das Großherzogtum Hessen und die dadurch geschaffenen Tatsachen erlebt. Kreuznach gehörte als Bestandteil des Königreichs Preußen nun zum Ausland mit allen Konsequenzen. So ist aus dem Einwohnerlisten zu entnehmen, dass Ausländer sich in Bosenheim nur niederlassen konnten, wenn zum einen die Zustimmung der Regierung in Darmstadt und des Bosenheimer Gemeinderates vorlag und zum anderen ein Feuereimer gekauft oder das entsprechende Eimergeld beim Gemeindeeinnehmer gezahlt wurde. Erst dann konnte man sich als Neubürger fühlen.
Ohne diese Formalitäten kam ein Kreuznacher Wagnermeister aus, der im Jahre 1816 in Bosenheim einheiratete. Aus Kreuznacher Ratsprotokollen ist zu entnehmen, dass dieser auch Geld für russische Übersetzungen erhalten hatte. Doch woher kamen diese Kenntnisse? Er war einer der wenigen Heimkehrer vom Napoleonischen Feldzug gegen Russland, der nach all diesen Strapazen sein restliches Leben in Bosenheim verbrachte.
Ein schief stehender Hoheitsstein der Staatsgrenze bei Bosenheim stellte 1872 ein schwerwiegendes Problem von übernationaler Bedeutung da. Ein einfaches gerade rücken hätte zwar genügt, dies wäre aber als Eingriff in die Staatsgrenze undenkbar gewesen. Nur eine beiderseitig eingesetzte Kommission in Begleitung der zuständigen Amtspersonen durfte am 25.03.1872 hier Hand anlegen.
Ein Prozess im Jahre 1854 in Mainz sorgte über das kleine Dorf Bosenheim hinaus für großes Aufsehen und für eine „Sensation in Rheinhessen“. Wegen der Misshandlung ihrer Tochter wurden der damalige Chausseegelderheber und Gemeindeeinnehmer und dessen Ehefrau zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. „Der Prozessbericht wurde damals für 4 Kreuzer verkauft“.
Was hatte sich der im Jahre 1853 in Bosenheim geborene Lehrersohn nur dabei gedacht, als er nach erfolgreicher akademischer Karriere im Jahre 1893 in Brasilien ein Landgut erwarb und ohne Kenntnisse sich als Landwirt versuchte. Nur durch die Hilfe von Freunden kam er mit einem blauen Auge davon und arbeitetete bis zu seiner Pensionierung als Lehrer in Deutsch-Südwestafrika.
Im Jahre 1878 wurde die politische Karriere eines Bosenheimer Juristen mit der Wahl in den „Deutschen Reichstag“ gekrönt. Auch bei der Vermählung seiner beiden Töchter hatte er ein gutes Händchen. Die eine heiratete den Gründungsdirektor der „Deutschen Bank“ und die andere den Eigentümer des Julius Springer Verlages. Auch seine vier Söhne waren erfolgreich. Ein Sohn wurde Elektroingenieur und leitete später die Zentrale von Siemens in St. Petersburg, sein Bruder war erfolgreicher Minenbesitzer in Südafrika. Nach dessen Tod gründete sein Bruder, der als Jurist in die Fußstapfen seiner Vaters getreten war, mit den Erbe eine der bedeutsamsten Stiftungen in Mainz, die bis heute noch fortbesteht. Der letzte Bruder hatte sich als Generaldirektor großer Erdölunternehmen im Ausland einen Namen gemacht.
Ein Witz auf der Straße, erzählt zu Zeiten des Nationalsozialismus, wurde einem Bosenheimer fast zum Verhängnis. Auf die Frage, wer ist der größte Erbhofbauer in Deutschland?, gab er auch gleich die Antwort: Adolf Hitler, der hat 60 Millionen Rindviecher. Nachdem er denunziert wurde, kam er kurzzeitig in Haft und anschließend mit einer scharfen Ermahnung aus Berlin davon.
Die Aussage „Der Ortsgruppenführer und der Ortsbauernführer sind Spitzbuben bzw. die dümmsten Kälber wählen Ihre Metzger selber" führte dazu, dass der damalige Direktor der Winzergenossenschaft Bosenheim im Jahre 1935 seines Amtes enthoben und wegen Beleidigung verurteilt wurde. Dieser Sachverhalt wurde darüber hinaus durch die Nazis im Öffentlichen Anzeiger vom 16.03.1935 (welcher sich ebenfalls glücklicherweise im Stadtarchiv befindet ) veröffentlicht. Darüber hinaus wurde er später noch von Nazischergen auf offener Straße überfallen. Nur seine Hilfeschreie und das Einschreiten eines Mitbürgers verhinderten schlimmeres.
Die Weigerung an Feierlichkeiten nach der Musterung teilzunehmen und einen NSDAP Parteiredner mit seinen PKW am Bahnhof abzuholen führte bei einem beherzten Bosenheimer dazu, dass er sehr unter den Nazis zu leiden hatte. Er blieb aber standfest und mutig und half sogar polnischen Zwangsarbeitern Nachrichten zu übermitteln. Dadurch sei nach deren Aussage die Gründung einer Widerstandsbewegung möglich gewesen.
Der im Jahre 1900 gegründete Verein der „Kleinkinderschule Bosenheim“ musste unter Zwang der Nazis seine Auflösung vornehmen. Vorab wurde das Kuratorium der Kleinkinderschulde noch gezwungen, sämtliches Vermögen der Kleinkinderschule (Gebäude, Inventar, Aktien landwirtschaftliche Fläche usw.) auf die Gemeinde zu übertragen. Die dort beschäftige Diakonissin war den Nazis schon lange ein Dorn im Auge und wurde nach der Übertragung umgehend durch eine regimetreue Kindergärtnerin ersetzt.
Noch vor Kriegsende wurde auf heutigen Bosenheimer Wohngebiet die Errichtung der unterirdischen Verstärkeranlage West geplant. Zum damaligen Zeitpunkt befand sich hier bereits eine Schaltanlage, welche im 2. Weltkrieg auch als Funkstation für die Luftwaffe gedient haben soll. Das Vorhaben wurde abgesegnet und die Bauteile auch angeliefert. Nach dem Einmarsch der Amerikaner waren diese aber plötzlich verschwunden, konnten aber durch die Bosenheimer Gendarmerie wieder aufgefunden werden.
Die entsprechenden Unterlagen fand Maleton in den o. g. Archiven. Dieses Unterlagen sich aber noch urheberrechtlich geschützt und dürfen erst nach entsprechender Genehmigung weitergegeben bzw. veröffentlicht werden. Eine ausgezeichnete Grundlage war auch die bereits von Marga Sitzius verfasste Chronik „Bosenheim, aus der älteren Geschichte eines Weindorfes“.
Als nächstes will Kay Maleton im Stadtarchiv die Einwohnerlisten Bosenheims aus den Jahren 1807 und 1839 und das Schatzungsregister von 1750 abschrieben und übersetzen. Die ermittelten Namen mit ihren Geburts- und Sterbedaten mit den Adressen soll dann den Mitbürgern und Mitbürgern weitere Einblicke in die Geschichte des Stadtteiles geben. Vielleicht lichtet sich dadurch auch das Geheimnis der „Schickengass“ wo sich das Hofhaus des Jakob Tillman von Halberg (kurfpfälzischer Hofkanzler und Konferenzminister) befand.
Foto: Kay Maleton vor dem Geburtshaus seines Vaters, um 1754 erbaut.