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Wie der braune Mob in Bad Kreuznach wütete – Erinnerungen an Reichspogromnacht
„Dumpf schlägt ein Teppich auf der Straße auf. Dort, wo eben noch Glas zerbrach, scheppern schon wieder Töpfe. Überall werfen Menschen das Eigentum jüdischer Mitbürger aus den Fenstern. Der Krach von berstendem Holz reißt Familie Aron mitten in der Nacht aus dem Schlaf. Immer wieder schlägt ein SA-Mann mit einem schweren Hammer auf die Eingangstür zur ihrer Wohnung in der Roßstraße 29 ein. Acht weitere helfen mit Brecheisen und Eisenstangen nach. Die Tür springt auf, die Arons sind dem Mob ausgeliefert. Öfen, Telefone, Schreibmaschinen, Siegel, Lampen, Betten - auf alles drischt die Horde ein, wirft es durch eingeschlagene Fenster auf die Straße“, zitiert die OB zudem aus einem Zeitungsbericht aus dem Jahre 2008.
Dr. Walter Grein (95) ist Zeitzeuge. Im Alter von 17 Jahren sieht er am 10. November 1938 die Spuren der Verwüstung auf seinem Schulweg in München. Er berichtet von Menschen, die vom braunen Mob gedemütigt und misshandelt wurden. Weinend läuft er nach Hause. Er erzählt vom Bruch seiner Familie mit dem Nationalsozialismus, als sein Vater erkannte, wie „menschenverachtend diese Ideologie ist“. Er berichtet von einem Erlebnis auf einer Fahrt in einem übervollen Zug nach Mannheim, als in einem Abteil streng isoliert von den anderen eine alte jüdische Frau sitzt, an einem knochenharten Kanten Brot kauend. Voller Mitleid schenkt Grein ihr seinen kompletten Reiseproviant. Er erzählt von einer Kundgebung des Münchner NSDAP-Gauleiters Adolf Wagner, an dem er als junger Medizinstudent teilgenommen hatte. Wagner scheiterte mit seinem Versuch, Kriegseuphorie zu entfachen, kläglich und wurde von den Studenten, darunter auch kriegsversehrte Soldaten, niedergeschrien.
Johannes Miedema ist mit seinen 16 Jahren fast so alt wie Walter Grein im November 1938 war. Miedema, Schüler am Gymnasium an der Stadtmauer, hat den Arzt, der seit 2009 in Bad Kreuznach lebt, über das Schulprojekt „Dialog zwischen den Generationen“ kennengelernt.
Die Gespräche mit Grein über den Nationalsozialismus und über den daraus resultierenden Rechtsradikalismus und Fremdenhass beeindruckten den jungen Mann stark und prägen seine politische Haltung. Seine Botschaft an seine Altersgenossen ist dementsprechend klar: „Wir müssen aus den Fehlern von damals lernen, denn wir sind jene, die in Zukunft Entscheidungen treffen.“ Dafür seien ein Dialog mit Zeitzeugen und die Auseinandersetzung mit den Verbrechen in der Reichspogromnacht von großer Bedeutung.
„Warum wurde in dieser Nacht so wenig Widerstand geleistet? Diese Frage schmerzt noch heute“, sagte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Valeryan Ryvlin. Die jüdischen Mitbürger sorgen sich wegen des zunehmenden Antisemitismus in Deutschland, auch weil in den Herkunftsländern der Flüchtlinge wie Irak und Syrien dies zur Staatsdoktrin gehöre. Daher sei es umso wichtiger, dass Werte wie Toleranz vermittelt werden.
„Eine Welt in Unruhe – welche Werte sind uns wichtig“ ist der Titel eines Gedankenaustausches im Rahmen der Nacht der offenen Kirche am Freitag, 18. November, 19 Uhr, im Wolfgangchor des Gymnasiums an der Stadtmauer. „Dazu sind Menschen aller Glaubensgemeinschaften eingeladen“, so Christiane Kasper, die über viele Jahre das Projekt „Generationen im Dialog“ betreute.
Zum Abschluss der Gedenkveranstaltung sprach Kantor Noam Ostrovsky das Totengebet „El Male Rachamim“. Für die musikalische Umrahmung sorgten Petra Grumbach (Klarinette) und der Chor der Jüdischen Kultusgemeinde unter der Leitung von Tatjana Feigelmann.
Foto: Zeitzeuge Walter Grein (95) und der Schüler Johannes Miedema (16) wirkten bei der Gedenkfeier mit. Im Hintergrund Christiane Kasper, langjährige Betreuerin des Schulprojektes "Dialog der Generationen".