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Karriere eines Wahrzeichens: Brückenhäuser galten einst als Schandfleck
Hier einige Auszüge aus dem Vortrag Senners: Die Maler und Zeichner, die in der aufstrebenden Kurstadt Kreuznach ihre Motive suchten, haben zumeist die Nahebrücke viel interessanter gefunden als den Brückenteil über den Mühlenteich mit seinen Häusern. Ausnahmen, wie Gapps Stahlstiche aus den 1850er Jahren, bestätigen die Regel. Erst mit dem Aufkommen der Ansichtspostkarte, seit den 1890er Jahren, werden die Brückenhäuser zunehmend populär. 1911 setzt die Stadtverwaltung „die Brückenhäuser auf der alten Nahebrücke, Mannheimer Straße 94, 96, 98“, auf die noch sehr kurze Liste der Bauwerke „von geschichtlicher oder künstlerischer Bedeutung“, die weder umgestaltet noch abgebrochen werden dürfen.
Das Besondere der Brückenhäuser, ihr Alleinstellungsmerkmal, besteht darin, dass sie für sich alleine stehen (oder einst standen), jedes für sich auf schmalem Brückenpfeiler und deshalb da, wo sie nach der Flussseite über ihn hinausgreifen, auf Stützbalken ruhend, den sog. Knaggen. Diese charakteristische Konstruktion hat sich bei den Brückenhäusern Mannheimer Straße 94 und 96 bis heute erhalten. Sie sind daher um einiges mehr Wahrzeichen als etwa Nummer 92, die 1867 „rückwärts um einen auf dem Wörth“ – der Naheinsel – „stehenden Trakt vergrößert“ wurde. Auf alten Ansichtskarten werden die Brückenhäuser manchmal richtiger als „Pfeilerhäuser“ bezeichnet.
Platzmangel war der Grund, warum die Brücke mit Häusern bebaut wurde. Als Kreuznach im 13. Jahrhundert Mauer, Wall und Graben erhielt, musste es in diesen Befestigungsring erst einmal hineinwachsen. 1495 beanstandete Kurfürst Philipp von der Pfalz „zwey Hüser uff der brücken, on unsern wissen gebuwet“. Gemeint waren, nach moderner Numerierung, Mannheimer Straße 84 und 88. Der Landesherr erlaubte, dass die Schwarzbauten stehenblieben; allerdings mit der Einschränkung: bis auf Widerruf. Als 1789 die Stadt Kreuznach mit der kurfürstlichen Finanzverwaltung über die Kosten für Unterhalt und Reparatur der Brücke prozessierte, da hat auch die Stadt die Brückenhäuser zu polizeiwidrigen (illegalen) Bauten erklärt, die für die Schäden an der Brücke hauptsächlich verantwortlich seien, weil sie die Bogen und Pfeiler über Gebühr belasteten. – Der Prozess blieb übrigens unentschieden; die französische Revolution ist über ihn hinweggegangen.
Bemerkenswert ist die hohe ‚Handwerkerdichte‘ in den Brückenhäusern. Lag der Anteil der selbständigen Handwerker im Kreuznach des frühen 19. Jahrhunderts bei einem guten Viertel der Erwerbstätigen, so erreichte er auf der Brücke mehr als das Dreifache! Dort saß vor 1820 die Hälfte von Kreuznachs Kupferschmieden, sein einziger Buchbinder, Christian Achilles, fast jeder fünfte Gerber der Stadt und jeder dritte ihrer Seiler.
Zwei Namen aus Dr. Senners kurzweiligem Vortrag über die Geschichte der Bewohner der Brückenhäuser: Das Haus Nummer 94, in deren Vorderfront die Kanonenkugel „Geschoß der Schweden 1632“ steckt, erwarb 1807 Georg Wohlleben, Seiler und Bleichmeister. Als Landmarke der Kreuznacher Topographie blieb Wohllebens Bleich’ für Generationen ein Begriff! Aus den Verhandlungen des Kreuznacher Schöffengerichts von 1903: „Am 22. Juni nach Schluß der Fortbildungsschule“ – im Hause Klappergasse 11 – „nahm der Spenglerlehrling Friedrich M. ein gefülltes Tintenglas mit und warf dasselbe von der Stadtbrücke aus auf die Wohlleben’sche Bleiche, wodurch von der dort lagernden Wäsche für ca. 30 Mark beschädigt wurde.“ (Der Übeltäter bekam zwei Tage Gefängnis.)
Die bis heute bedeutendste Persönlichkeit von der Brücke ist sicherlich Dr. Karl Aschoff (1867-1945). Sein Geburtshaus war die – jüngere – Schwanen-Apotheke, Mannheimer Straße 88, die 1903 einem Neubau weichen musste. Der Apotheker hatte das radioaktive Gas Radon in der Luft des Rudolfstollens und Radiumemanation in den Solequellen entdeckt und schuf somit die Grundlage für eine Medizin-Therapie, die vor dem Ersten Weltkrieg den Rang Bad Kreuznachs als europäisches Heilbad festigte.
Die nächsten Stationen der Geschichtshäppchen:
Thomas Scheffler lädt am Sonntag, 17. Mai, 17.45 Uhr, zu einer literarischen Wanderung am Dexheimer`schen Haus ein, das seit 1945 Geschichte ist. Treffpunkt Mannheimer Straße 65-67.
Hannelore Hilgert und Richard Walter erinnern am Donnerstag, 21. Mai, 17.45 Uhr, am Originale-Brunnen (Kornmarkt) an seinen Schöpfer Karl Steiner, Mannheimer Straße 77
Foto: Mit den Brückenhäusern befasste sich Dr. Martin Senner im Rahmen der "Geschichtshäppchen"