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"Gedenktag mahnt uns immer wieder und erneut, wachsam zu sein."
Marie Radkiewicz (16), Stipendiatin der Eckenroth-Stiftung, las ihren Text „Gefallenes Laub“ vor. Sie beschreibt darin sehr eindrücklich und einfühlsam ihren Besuch im Jüdischen Museum Berlin. „Gefallenes Laub“ ist der Titel einer Installation des israelischen Künstlers Menashe Kadishman. „Gefallenes Laub“ zeigt über 10.000 Gesichter aus Eisen, die den Boden bedecken. Der Künstler widmet sie allen unschuldigen Opfern von Krieg und Gewalt. Der Besucher des Museums wird aufgefordert den Raum zu betreten.
Schüler der IGS-Sophie-Sondhelm Bad Kreuznach mahnten mit ihren Plakaten „Menschenrechte, Respekt und Toleranz“ an. Das Gedenken vor rund 100 Bürgerinnen und Bürger am Mahnmal in der Kirschsteinanlage wurde von Christiane Jaite musikalisch umrahmt.
Hier der Text der Ansprache von Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer:
„Das eigentliche Lager wirkte wie ein unaufgeräumter Schlachthof. Ein beißender Geruch hing schwer in der Luft. […] Je tiefer wir auf das Gelände vordrangen, desto stärker war der Gestank von verbranntem Fleisch, und vom Himmel regnete schmutzig-schwarze Asche auf uns nieder, welche die Schneeflecken dunkel färbte. Ratlos standen unzählige Elendsgestalten mit eingefallen Gesichtern und kahlen Köpfen draußen vor den Baracken. Sie wussten nicht, dass wir kommen. Die Überraschung darüber ließ viele in Ohnmacht fallen. Ein Bild, das jeden schwach werden lässt, der es sieht. Das Elend war entsetzlich."
Mit diesen Sätzen erinnert sich einer der sowjetischen Soldaten, die heute vor 70 Jahren das Konzentrationslager Auschwitz als erste erreichten.
Wir gedenken am Jahrestag der Befreiung dieses größten deutschen Vernichtungslagers aller Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Wir gedenken
der Juden,
der Sinti und Roma,
der Kranken,
der Menschen mit Behinderungen,
der aus politischen oder religiösen Motiven Verfolgten,
der Homosexuellen und
all derer, die Opfer des NS-Regimes und dem von Deutschland ausgegangenen Krieges, wurden.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden aus Unerwünschten Verfolgte.
Menschen wurden zwangssterilisiert, in Lagern interniert, aus Gründen der "polizeilichen Vorbeugehaft", wie es damals hieß, in Konzentrationslager deportiert.
Menschen willkürlich in Kategorien einzuteilen, die darüber entschieden, ob jemand aus der Gesellschaft ausgeschlossen, entrechtet und schließlich auf Geheiß des Staates umgebracht wurde,
Menschen mit dem Etikett "lebensunwert" zu versehen und ihre "Vernichtung" zu befehlen,
Menschen auf industrielle Weise millionenfach zu ermorden –
das ist einzigartig in der Menschheitsgeschichte.
Damit wurde, um es in den Worten des ehemaligen israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres zu sagen: "der Glaube geleugnet, dass jeder Mensch im Antlitz Gottes erschaffen ist; dass jeder Mensch vor Gott gleich ist, dass alle Menschen ebenbürtig sind."
Die Erinnerung an diese Ereignisse und Verirrungen verpflichtet uns, alle Menschen gleich zu achten, die Menschenwürde zu wahren und jeder Verweigerung oder Verletzung der Menschenrechte entgegenzutreten: bei uns in Bad Kreuznach, in Deutschland und überall in der Welt.
Dass gerade junge Menschen sich mit dem Holocaust auseinandersetzen, ist umso wichtiger, als die Zahl der Zeitzeugen immer kleiner wird.
So ist es zunehmend die Aufgabe der Nachgeborenen, die Erinnerung wachzuhalten und auch das eindrucksvolle Werk der Versöhnung zu ihrem eigenen Anliegen zu machen.
Dass es uns auch heute etwas angeht, das zeigen Sie mit Ihrem Kommen,
das zeigt Ihr alle – Schüler und Schülerinnen der Sophie Sondhelm-Schule - mit Euren jährlichen Beiträgen zum 09. November und auch zum heutigen Tag.
Das zeigt auch die Eckenroth-Stiftung und insbesondere Marie Radkiewicz mit ihrem folgenden Beitrag.
Ihr habt dazu beigetragen, dass die Erinnerung nicht endet, sondern wach und lebendig bleibt. Dafür möchte ich Euch im Namen der Bürgerinnen und Bürger der Stadt Bad Kreuznach einfach Danke sagen.
Danke, dass Ihr Euch einsetzt für ein sehr wichtiges Thema. Danke, dass Ihr mit Phantasie an etwas herangeht, was schwierig zu verstehen, schwierig zu verarbeiten und auch schwierig zu erinnern ist.
Und dass Ihr Euch so zahlreich eingesetzt habt für dieses Thema, macht mir Mut. Seid ihr doch die Generation, die die Zukunft unserer Stadt und unseres Landes gestalten wird.
Eure Beiträge zeigen, dass der 27. Januar nicht nur ein Datum unter vielen ist.
Der 27. Januar - ein besonderer Gedenktag. Er mahnt uns doch immer wieder und erneut, wachsam zu sein. Wachsam für die Anfänge der Diskriminierung, für die Anfänge des Unrechts, wachsam gegen Diskriminierung von allen Seiten.
Sich einzusetzen für Demokratie,
sich einzusetzen gegen Diskriminierung von jeder Seite,
sich einzusetzen gegen Unrecht, gegen das Böse überhaupt, fängt im Kleinen und bei jedem einzelnen von uns an.
Auschwitz war der zentrale Ort des organisierten Massenmordes, des schlimmsten Verbrechens der Menschheitsgeschichte. Die persönliche Schuld mögen die Täter mit ins Grab genommen haben.
Aber die Verantwortung, den Schwur „Niemals wieder“ einzulösen, tragen wir als nachkommende Generationen für alle Zeit.
Wenn heute, 70 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, Juden in Europa wieder um ihre Sicherheit fürchten und um ihr Leben bangen, dann muss uns das verstören und wachrütteln.
Wir müssen gegen die Angst zusammenstehen, wir dürfen uns nicht anstecken lassen von dem Hass etwa der Attentäter von Paris. Wir dürfen dem Hass nicht mit noch mehr Hass begegnen und nicht auf Gewalt mit noch mehr Gewalt antworten.
Aber wir müssen all jenen die Stirn bieten, die Hetze betreiben und Menschen gegeneinander aufbringen.
Wir müssen ein wachsendes Misstrauen bekämpfen, die Freiheit aller Menschen, die in unserem Land, die in unserer Stadt leben, verteidigen und die Würde eines jeden Menschen schützen.
Wir alle müssen wachsam sein gegen jede Form von Hass.
Wir alle müssen wachsam sein gegen Ausgrenzung vermeintlich Anderer“.
⇒"Gefallenes Laub" von Marie Radkiewicz ( pdf-Datei)
Foto: Oberbürgermeisterin Dr. Heike Kaster-Meurer, Marie Radkiewicz (zweite von rechts), die Beigeordneten Andrea Manz und Udo Bausch sowie ein Schüler der IGS Sophie-Sondhelm vor dem Mahnmal in der Kirschsteinanlage