OB Letz im AZ-Interview zu „100 Jahre Jugendamt“

Die wertvolle Arbeit in den Mittelpunkt gerückt


Folgend das Interview:

Herr Letz, immer mehr Eltern können aus ganz unterschiedlichen Gründen heutzutage ihren Nachwuchs nicht ausreichend versorgen, fördern und erziehen. Hier soll die Pflegefamilie einspringen. Sie selbst sind bei einer solchen groß geworden. Wie schätzen Sie mit diesen ganz persönlichen Erfahrungen die derzeitige Situation ein?

Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft weiterhin Strukturen schaffen, um Kindern ein stabiles Umfeld zu bieten, auch wenn die eigenen Eltern dazu zeitweise oder langfristig nicht in der Lage sind. Pflegefamilien leisten hierbei einen unschätzbaren Beitrag. Leider ist der Bedarf an Pflegefamilien heute hoch, was zeigt, dass viele Familien nach wie vor Unterstützung benötigen.

Das Jugendamt feierte in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Wie ist das Jubiläum aus Ihrer Sicht verlaufen?

Das Jubiläum war aus meiner Sicht ein voller Erfolg. Es hat uns die Gelegenheit gegeben, die wertvolle Arbeit des Jugendamtes in den Mittelpunkt zu rücken und die Fortschritte der letzten Jahrzehnte zu würdigen. Vor allem die verschiedenen Veranstaltungen, die den Austausch zwischen Fachkräften und der Öffentlichkeit gefördert haben, waren sehr bereichernd.

Die Abgabe des Amtes an den Kreis ist dadurch in den Hintergrund gerückt oder haben Sie vielleicht neueste Neuigkeiten zu berichten?

Die Übergabe des Jugendamts an den Kreis ist seit Jahren ein großes Thema für einige Mitglieder des Stadtrats, vor allem wegen der vermeintlichen Kosten. Es handelt sich jedoch um ein komplexes Thema, das derzeit auf Initiative der Landrätin und mir im Städtetag, im Landkreistag und in der Landesregierung behandelt wird. Ein Ergebnis soll möglichst Anfang nächsten Jahres vorliegen. Unser Fokus liegt weiterhin darauf sicherzustellen, dass die Jugendhilfe auf lokaler Ebene reibungslos funktioniert.

Viele Aspekte, die die Kinder- und Jugendarbeit betreffen, wurden in den vergangenen Monaten in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Da ging es um eine neue Kita, um Schulsozialarbeit, um die Schaffung von inklusiven Spielplätzen, um eine aufgeschlossene queere Gesellschaft und auch um die Herausforderung, in der Stadt Bad Kreuznach genügend Pflegefamilien zu finden. Sie selbst sind in einer Pflegefamilie aufgewachsen. Wollen Sie uns schildern, wann Sie davon erfahren haben?

Ich erfuhr bereits in jungen Jahren, dass ich in einer Pflegefamilie aufwuchs. Meine Pflegeeltern haben es mir auf eine sehr liebevolle Art erklärt und ich hatte nie das Gefühl, anders behandelt zu werden. Ich denke, der offene Umgang mit der Situation hat mir geholfen, mich gut in dieser Familie einzufügen. Ich empfand es als sehr positiv, in einer Pflegefamilie aufzuwachsen.

In der Pflegefamilie in Winzenheim gab es auch weitere Kinder?

Ja, in meiner Pflegefamilie gab es weitere Kinder, mit denen ich aufgewachsen bin. Zu einem von ihnen habe ich heute noch Kontakt. Meine Pflegeeltern, die bereits vor längerer Zeit verstorben sind, gaben mir immer das Gefühl, dass ich trotz unterschiedlicher Nachnamen dazugehöre. Natürlich gab es auch Herausforderungen, aber diese Erfahrungen haben mich stark gemacht und meinen Blick auf das Thema Kinder- und Jugendhilfe geprägt.

Wurde der Kontakt zu ihren leiblichen Eltern hergestellt?

Eine Verbindung zu meiner leiblichen Familie bestand nicht. Der Kontakt zu meiner leiblichen Mutter fand nur einmal in Form eines Besuchs statt, spielte aber in meinem Leben keine zentrale Rolle. Meine Pflegefamilie war während meiner Kindheit der Mittelpunkt meines Lebens, auch ohne formale Adoption habe ich mich immer als Teil der Familie gefühlt.

Wie haben Sie das Aufwachsen in einer doch besonderen Situation erlebt?

Das Aufwachsen in einer Pflegefamilie war natürlich eine besondere Erfahrung, aber ich habe es nicht als Belastung empfunden. Es war anders, aber ich hatte ein liebevolles Zuhause und großartige Unterstützung. Auch in der Grundschule und später an der ADS Hargesheim, wo ich 1996 mein Abi gemacht habe, lief alles ganz normal ab.

Was kann die Jugendhilfe aus Ihrer Sicht tun, um es Pflegeeltern wie Pflegekindern leichter zu machen?

Aus meinen persönlichen Erfahrungen kann ich sagen, dass es wichtig ist, Pflegeeltern gut zu unterstützen. Vor allem Schulungen und der Austausch mit anderen Pflegeeltern helfen, sich auf diese wichtige Aufgabe vorzubereiten. Gleichzeitig sollten Pflegekinder frühzeitig unterstützt werden, um ihnen das Gefühl der Zugehörigkeit zu geben.

Sie haben selbst einen Sohn. Gab es mal eine Phase in Ihrem Leben, in der Sie mit Ihrer Frau überlegt haben, selbst ein Kind in Pflege zu nehmen?

Ich denke, dass es viele gute Gründe gibt, Pflegekinder aufzunehmen. Obwohl uns der Aspekt eines Pflegekindes wichtig ist, spielte er für uns keine Rolle, da wir selbst einen Sohn haben und dieser Gedanke bei uns deshalb nie aufkam.

Die Stadt hat eine Kampagne gestartet, um mehr Pflegefamilien zu finden. Wie ist der bisherige Erfolg der Werbekampagne?

Da die Kampagne erst kürzlich gestartet wurde, lässt sich noch nicht seriös beurteilen, ob sie erfolgreich sein wird. Klar ist jedoch, dass wir weiterhin verstärkt dafür werben müssen. Die Möglichkeit, dass auch alleinstehende oder gleichgeschlechtliche Paare Pflegekinder aufnehmen können, hat den Kreis der potenziellen Pflegeeltern erweitert, was sehr begrüßenswert ist. Die Nachfrage nach Pflegeplätzen steigt weiterhin. Wir bemühen uns, auf diese Entwicklung zu reagieren und weitere Pflegefamilien zu finden.

2022 wurden in Deutschland rund 121.000 junge Menschen in einem Heim sowie weitere rund 86.000 in einer Pflegefamilie betreut. Woran liegt es, dass immer mehr Kinder Pflegeeltern brauchen?

Die Gründe, warum immer mehr Kinder Pflegeeltern brauchen, sind vielfältig. Oft spielen wirtschaftliche Unsicherheiten, familiäre Probleme oder psychische Belastungen eine Rolle. Die Gesellschaft wird insgesamt komplexer, und das spiegelt sich auch in den Herausforderungen für Familien wider.

Was kann die Politik, was kann die Stadt, was kann das Jugendamt tun, damit Eltern ihre Kinder selbst großziehen können?

Die Politik und das Jugendamt können noch mehr tun, um präventive Maßnahmen zu stärken. Unterstützungsangebote für Familien müssen frühzeitig greifen, bevor es zur Inobhutnahme kommt. Auch finanzielle Entlastung und psychologische Betreuung für Familien sind wichtige Schritte.

Wäre es sinnvoll, für Pflegekinder eine Art Selbsthilfegruppe einzurichten?

Eine Selbsthilfegruppe für Pflegekinder könnte sehr hilfreich sein. Der Austausch mit anderen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, schafft Verständnis und Unterstützung.

Rückblickend auf Ihre eigene Kindheit? Ein Pflegekind zu sein war…?

Rückblickend war es für mich eine besondere Erfahrung, Pflegekind zu sein. Es hat mich gelehrt, dass Familie nicht nur aus Blutsverwandtschaft besteht, sondern vor allem aus Liebe, Fürsorge und Zusammenhalt. Pflegekind zu sein, hat mich stark gemacht. Es hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, Rückhalt zu haben und dass man auch aus schwierigen Situationen gestärkt hervorgehen kann.

Isabel Mittler, Redakteurin der AZ Bad Kreuznach.


Foto: Emanuel Letz als Vorleser in der Kita Herrmann-Rohloff im Jahr 2023. Archivfoto: Hansjörg Rehbein

 

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